Ich wäre ja gerne kreativ(er), aber ...

Wir bauen selber die Blockaden, die uns in unserer Kreativität behindern  • 5.Mai 2017

Sicher kennst du diesen schon etwas angestaubten Feministinnenwitz: Freundin A sagt zu Freundin B: "Ach, weißt du, ich wäre auch gerne emanzipiert, aber mein Mann erlaubt es nicht."

Ja, wenn es nicht so traurig wäre, könnte man wirklich drüber lachen. An diesen Witz musste ich vor einigen Monaten denken, als einer meiner Freunde, ein angesehener und erfolgreicher Architekt, zu mir sagte, er wäre gerne kreativer, aber es ginge halt nicht: Der Beruf, die öffentlichen Termine, die Ehrenämter, und und und. Es stellte sich heraus, dass er ein Hansdampf in allen Gassen war und auf allen Hochzeiten tanzen musste. Dabei wäre er soooo gern kreativ.

 

Was er denn gerne Kreatives machen würde, fragte ich. Er druckste eine Weile herum, dann kam er damit heraus, dass er schon als Junge ein Segelboot bauen wollte. Es gab damals in einer Zeitschrift einen Bauplan mit Anleitung für ein winziges Segelboot, einen so genannten "Optimist".  Ganze Zweimeterdreißig sollte es lang sein und aus Sperrholz ziemlich leicht zu bauen. Dass da nichts draus wurde, kann man meinem Freund nicht ankreiden. Damals hatte er nicht einmal das Geld für das Baumaterial dieses Winzlings und hätte finanzielle und tätige Unterstützung seines Stiefvaters gebraucht. Der lachte aber nur über die spinnerte Idee und verweigerte die Hilfe. Aus der Traum vom eigenen Segelboot.

Aus der Traum? Keineswegs. Albert, so heißt mein Freund, träumte weiter. Jahrelang, jahrzehntelang, und träumte immer noch davon, ein Segelboot zu bauen. Der Traum ist im Laufe der Zeit gewachsen, genauer gesagt das zu bauende Segelboot, viermeterzwanzig sollen es jetzt schon sein. Die Baukosten dafür wären aber  etwa vier- bis fünfmal so hoch wie für den Optimisten. Auf meine Rückfrage nannte er mir die Summe. Ich musste lächeln: Für einen erfolgreichen Architekten eher peanuts.

 

"Und warum bauste das Boot jetzt nicht?", fragte ich. Die Antwort kennen wir schon: Der Beruf, die öffentlichen Termine, die Ehrenämter, und und und.  Den weiteren Verlauf dieses Gesprächs möchte ich nicht minutiös protokollieren; Albert wand sich wie ein Regenwurm, wenn ich nachhakte, wieso er denn dieses oder jenes Ehrenamt ausüben müsse oder warum es so unabänderlich sei, an jedem Samstag mit dem Stadtdirektor im "Kanzler" Bier zu trinken.  Es müsse halt sein.

Wir führten das Gespräch an jenem Tag nicht weiter. Aber nach einer Woche traf ich Albert wieder und fragte so ganz nebenher, was denn das Segelboot so mache.

"Ich wusste es, dass du mich drauf ansprechen würdest", sagte er und grinste dabei.

 

Ich rechnete jetzt mit tausenderlei Erklärungen, wieso es weiterhin nicht ginge gemäß der Volksweisheit: "Wer will, findet Möglichkeiten, wer nicht will, findet Gründe."

Aber es kam anders. Albert berichtete mir strahlend, dass er den Vorsitz im Lionsclub abgegeben habe an jemanden, der schon lange scharf drauf war. "Ich frage mich jetzt nur, warum ich das nicht längst getan habe", sinnierte Albert.

Das Zeitfenster, das sich mit dieser Entscheidung auftat, reichte natürlich noch nicht, um ein Segelboot zu bauen. Aber das war ja auch erst der Anfang. Bei Albert war etwas in Bewegung gekommen.  Seit einigen Wochen ist er tatsächlich zusammen mit einem Freund dabei, ein Segelboot zu bauen, allerdings keinen Vierhundertzwanziger, sondern einen Piraten, der noch etwas länger ist, für den es aber Bausätze aus Sperrholz gibt.

 

Albert ist immer noch ein erfolgreicher Architekt, aber er hat sich von dem Zwang befreit, jeden möglichen Autrag auch annehmen zu müssen. Und mit dem Stadtdirektor trinkt er auch nur noch einmal im Monat im Kanzler Bier. Er ist selber total erstaunt, das das geht und überhaupt keine Nachteile bringt. Das Gegenteil von Zwang ist Freiheit.  Ich konnte Albert zwar einen kleinen Anstupser geben, aber seine Befreiung musste er selber machen.

Dennoch hat Albert gerade wenig Zeit, obwohl das Boot fast fertig ist. Er macht einen Segelkurs.

TK.

Dieser Text nimmt an der Blogparade "Kreativ und frei" von Anja Jäger Art & Coaching teil. Hier gehts zu Anjas Blog.


Lieber Till, ich danke Dir für Deinen tollen Beitrag. Eine sehr schöne Geschichte aus dem Leben, da sieht man wie wertvoll andere Menschen sind – in dem Fall Du – die einem einen Anstupser geben und dass wir Träume nicht aufgeben sollten, sondern Realität werden lassen sollten… ich danke Dir herzlichst Anja 7.5.17


Dieser Tage war ich (wieder einmal) auf der hochinteressanten Seite "Lust auf Wachstum" von Robert Heeß unterwegs. Der hat aktuell in seinem Blog einen Beitrag mit dem hübschen Titel "Wenn Unternehmer ausrasten" Der fängt so an:

 

Haben Sie in Ihrem Leben überhaupt schon mal was gearbeitet?“ Es wurde etwas lauter als gewöhnlich an jenem Morgen. Er schnauzte mich an, der Kunde, einer von drei Geschäftsführern eines Berliner Ingenieurbüros. Sie hatten mich als Berater gebucht, um Marketingthemen, Prozessabläufe und Zeitplanung unter die Lupe zu nehmen. Von nichts ´ne Ahnung hätte ich, brüllte er. Keinen blassen Schimmer. Von Ingenieurs-Arbeitstagen und dessen Anforderungen und Notwendigkeiten und Zwängen schon gar nicht. Und überhaupt. Der Mann....

Passt total gut zu dem Thema meines Beitrags zu Anjas Blogparade. Roberts Artikel kannst du hier weiterlesen. TK 25.5.17