Freiheit und Autonomie

Von Lauster über Beer zu Betz: Freiheit in Liebe und Beziehung

"Wir sollten nicht von der Autonomie und Freiheit träumen, sondern den Sprung wagen und überprüfen, was danach kommt. Es übersteigt das Vorstellungsvermögen. Man muss vom Dreimeterbrett ins Wasser springen, um zu erleben, dass die Angst davor unbegründet ist. Erst danach kann man lachen und sich über das Erlebnis freuen, nicht davor." Peter Lauster: Lebenskunst rororo-Ausgabe S.190

 

Dieses Zitat schrieb ich einmal einer Frau, die mir beschrieben hatte, welche Probleme sie damit hat, das zu tun, was sie schon seit langem tun möchte. Sie möchte sich ein Recht heraus nehmen, etwas zu tun, was ihr Mann nicht unterstützt. Daher dachte ich, dieses Dreimeterbrett-Gleichnis von Peter Lauster könne ihr helfen. Und was schrieb sie zurück? „Und wenn ich dabei einen Bauchklatscher mache?“

 

Selbstverständlich kann man beim ersten Sprung vom Dreimeterbrett auch mit dem Bauch aufschlagen und das tut sehr weh. Ich spreche aus Erfahrung. Wenn man ein Auto besteigt, kann man in einen Verkehrsunfall verwickelt werden. (Ich spreche aus Erfahrung!) Und? Wen hält das davon ab, in ein Auto zu steigen?

 

Wenn ich obiges Zitat von Peter Lauster lese, in dem es um die Sehnsucht nach Freiheit und Autonomie geht, fallen mir immer zwei Bücher ein:  Papillon von Henri Charrière und Soweit die Füße tragen von Josef Martin Bauer. In beiden Tatsachenromanen geht es um einen Menschen, der sehr fern von seinem Heimatland in Gefangenschaft ist: Der Pariser Papillon in Französisch Guayana (Karibik) und der deutsche Kriegsgefangene Forell am hintersten Ende von Sibirien.

Warum sind sie dort? Papillon ist ein kleiner Gauner aus dem Rotlichtmilieu vom Place Pigalle, dem ein Mord in die Schuhe geschoben wird, den er nicht begangen hat und Forell ein Soldat der Deutschen Wehrmacht, die Russland überfallen hat. Je nach Standpunkt und Perspektive könnte man also sagen, dass sie unschuldig eingesperrt sind oder dass sie irgendetwas dazu beigetragen haben, in diese Situation zu kommen.

Sich arrangieren oder um Freiheit ringen?

Beide haben eine hohe Zahl von Mitgefangenen,  denen es in der Hauptsache darum geht, sich mit dem Schicksal zu arrangieren und das Leben in der Gefangenschaft so angenehm wie möglich zu organisieren. Forell und Papillon hingegen denken Tag und Nacht an nichts anderes als an die Freiheit und wie sie wiederzuerlangen wäre. Gegen die Gefahren, die ihnen beim Ausbruch aus einem Straflager drohen, ist der Bauchklatscher beim Sprung vom Dreimeterbrett eine lächerliche Lappalie. Und sie machen ihre Bauchklatscher, weil der erste Ausbruch bei beiden misslingt und sie fürchterlich bestraft werden, etwas, was auch uns beim Ausbruch aus einer unerträglichen Lebenssituation durchaus passieren kann.

Forells zweiter Ausbruch gelingt, aber der Weg vom Ostende Sibriens durch die ganze Sowjetunion bis nach Deutschland ist lang und voller Hindernisse und Gefahren. Aber er kommt durch. Papillon erreicht die Freiheit erst beim vierten oder fünften Versuch. Aber er erreicht sie.

Beide Bücher sind Abenteuerromane, die sich spannender lesen als jeder fiktive Krimi. Und für diese Bücher gilt in besonderem Maße ein Satz von Hermann Hesse: "Bücher sind nicht dazu da, unselbstständige Menschen noch unselbstständiger  zu machen, und sie sind noch weniger dazu da, lebensunfähigen  Menschen ein wohlfeiles Trug- und Ersatzleben zu liefern. Im Gegenteil. Bücher haben nur dann einen Wert, wenn sie zum Leben führen und dem Leben dienen und nützen, und jede Lesestunde ist vergeudet, aus der nicht ein Funke von Kraft, eine Ahnung von Verjüngung, ein Hauch von neuer Frische sich für den Leser ergibt.

 

Alle diese Bedingungen sind bei den beiden genannten Büchern gegeben. Wer sie gelesen hat und sich von dem aus ihnen strömendem Feuer hat entfachen lassen, der wird Peter Lausters Aufruf, den Sprung in die Freiheit und Autonomie zu wagen, nicht mehr so ganz abwegig finden.

Der Wert der Freiheit

Wir erfahren viele Werte dadurch, dass wir ihr Gegenteil kennen und eventuell darunter leiden. Erst in der Finsternis wird uns klar, wie wertvoll das Licht ist, erst durch Hunger lernen wir den Reichtum zu würdigen, immer genug zu Essen zu haben, und die Wahrnehmung eines frierenden Obdachlosen lehrt uns, unsere Wohnsituation mit funktionierender Heizung zu schätzen.

So ist es auch mit der Freiheit. Dass gerade unser Bundespräsident sie immerfort thematisiert, hat seinen Grund darin, dass er in der DDR gelebt hat und damit das Gegenteil, also Unterdrückung und die Abwesenheit von Freiheit zur Genüge kennt. Und er kann es nicht gut haben, wenn satte Bundesbürger ihre Freiheit gar nicht bemerken.

Es muss aber nicht gleich ein politisches System sein, das uns unfrei macht, wir können das Gegenteil von Freiheit auch in unseren Berufen und unseren Beziehungen erfahren.

 

Das Finanzamt teilt uns in Selbstständige und Nichtselbstständige ein. Wer von beiden ist freier, wer abhängiger? Bevor wir vorschnell "Na, der Selbstständige natürlich" antworten, sollten wir genauer hinschauen und uns klar machen, in welchen Zwängen dieser steckt, die der Nichtselbstständige nicht hat. Ein so genannter freier Unternehmer kann gewiss viel mehr Geld anhäufen als ein Angestellter oder Beamter, hat gleichzeitig aber viel mehr Papierkrieg und kann auch Konkurs machen, was den anderen nicht passieren kann.

In unseren Beziehungen geht es häufig um das Verhältnis von Nähe und Distanz, speziell dann, wenn die Partner da sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben. Letztlich ist auch das eine Frage von Autonomie und Abhängigkeit.  Aber geben wir nicht ohnehin ein Stück Freiheit auf, wenn wir uns an einen Partner binden - mit oder ohne Trauschein? Die Antwort heißt zunächst einmal Ja. Aber gewinnen wir damit nicht auch Freiheiten und Möglichkeiten, die wir sonst nicht hätten? Die Antwort lautet wieder Ja.

 

Beziehung und Freiheit, geht das?


Wir können zwischen zwei Sorten von Freiheit unterscheiden: Freiheit von etwas und Freiheit zu etwas, das ist nicht das Gleiche. Eine Partnerschaft befreit uns von der Angst vor Einsamkeit und vor der Pflicht, den Haushalt oder die Finanzen zu machen, weil wir sie dem Partner/der Partnerin überlassen können. Andererseits entstehen Möglichkeiten der Gestaltung des Lebens, der Freizeit, zu Reisen etc.

Der Psychologe Ulrich Beer findet, dass wirkliche Freiheit "nicht aus der schicksalhaften Freiheit, sondern aus der erwählten Freiheit" entsteht. "Diese nennen wir Bindung im Unterschied zu Abhängigkeit, mit der wir unfreiwillige Zwänge und Einengungen unseres freien Handelns und Entscheidens bezeichnen." Weiter meint er, dass "Freiheit nicht ... nur ... das Tundürfen dessen, was man will" sei, sondern das echte Tunkönnen.

Ich komme noch einmal auf den Bundespräsidenten Gauck zurück, von dem ich schrieb, ihm gefalle nicht, dass die Bundesbürger ihre Freiheit nicht schätzen, weil sie sie nicht wahrnehmen. Das ist auch unabhängig von ihm ein ganz wichtiger Aspekt. Wer nicht weiß, dass er frei ist, ist nicht frei. Zur Freiheit gehört Bewusstsein. Hinsichtlich der Unfreiheit haben wir das hingegen schnell und leiden unter der Enge unserer Ehe oder unserer Wohnung, unter dem Mangel an geeigneten Sexpartnern oder unter Geldmangel.

 

Wir wünschen uns eine Beziehung und Freiheit. Geht das? Wenn Ulrich Beers Slogan "Freiheit durch Bindung" stimmt, dann müsste es gehen. Dass es in vielen Fällen nicht klappt, ist davon unabhängig. Wir kennen in unserem Kulturkreis keine Zwangsheirat, gehen eine Beziehung und auch Ehe in der Regel freiwillig ein, aus eigener Überzeugung und Entscheidung, das ist schon mal ein freiheitlicher Akt. Wenn ich "in der Regel" sagte, dann darf ich mich selber schon mal als Ausnahme heranziehen. Als ich im entsprechenden Alter war, gab es noch das "Heiraten Müssen", wenn man aus Versehen ein Kind gezeugt hatte und dazu stand. Meine erste Frau und ich, wir konnten nie erfahren, ob wir auch ohne diese Zeugung geheiratet hätten. Da ist also ein Mangel an Selbstbestimmung und Freiheit gewesen, der die gesamte Ehe belastet hat.

 

Damit komme ich zum heikelsten Freiheitsaspekt in einer Beziehung, der sexuellen Treue. Wer von seinem Partner diese Ausschließlichkeit verlangt und als absolute Bedingung setzt, wird nie erfahren, ob dieser Partner diese Ausschließlichkeit auch ohne diese Unfreiheit  einhalten würde. Dieser Partner selber übrigens auch nicht.  Peter Lauster schreibt in seinem berühmten Buch Die Liebe: "Liebe darf zu nichts verpflichten. Sie muss sich frei ereignen können. Liebe darf auch nicht an eine Verpflichtung zu lebenslanger Treue gebunden sein, dann wird sie schwerblütig.", ich würde sagen, dann wird sie unfrei.  

 

Liebe lässt frei ?

 Das behauptet zumindest Robert Betz schon mit seinem Buchtitel "Wahre Liebe lässt frei". Aber was heißt das genau? Frei lassen ist ein doppeldeutiger Ausdruck. Ich kann einen Vogel freilassen, indem ich das Türchen des Vogelbauers öffne und ihm damit die Freiheit zurück gebe. Oder ich kann, wenn ich mit dem Käscher unterwegs bin und einen wunderschönen Schmetterling sehe, diesen frei lassen, ihn also nicht einfangen. Einen Menschen, den wir lieben, können wir dementsprechend nur frei lassen in der Bedeutung ihm die Freiheit be-lassen, nicht nehmen. In Diskussionen zu Partnerschaften und Eifersucht liest und hört man häufig den Ausdruck "die Freiheit geben". Oh là là! Wer hat denn das Recht, über die Freiheit eines anderen zu bestimmen?  TK ©

 

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Dieser Blogtext ist speziell für die "Blog-Parade" zum Thema Freiheit und Entfaltung  auf der Seite cardea-training.de von Stefanie Carla Schäfer abgefasst, wo weitere Beiträge anderer BloggerInnen zu diesem Themenkreis zu finden sind.