Die Leidenschaft flieht, die Liebe muss bleiben

Diesen Satz haben die Älteren unter uns in der Schule auswendig lernen müssen und zwar als Vers in dem Gedicht Die Glocke von Schiller. Nun ist es unbestritten, dass unsere Dichterfürsten sehr kluge, zum Teil sogar weise Menschen waren. Aber sie waren es in ihrer Zeit, und darum darf das, was sie vor zweihundert Jahren als weise Erkenntnis veröffentlichten, heute zumindest hinterfragt werden.

 

Noch unsere Großeltern schickten sich demütig in die Tatsache, dass die Leidenschaft Bestandteil einer fernen – und oft auch kurzen – Vergangenheit war, an die sie sich mehr oder weniger gern erinnerten. Und Liebe? Hatten sie je „Ich liebe dich“ zu einander gesagt?

 

Wir stellen heute höhere Ansprüche und Erwartungen an eine Beziehung. Liebesbeziehung nennen wir sie ohnehin. Und Leidenschaft? Heute sagen wir Sex und die meisten Menschen sind der Ansicht, dass er zu einer Liebesbeziehung dazu gehört. Für manche ist er sogar unabdingbar. Und guter Sex soll es sein, erfüllender Sex.

 

 Und dennoch können wir die Tatsache nicht übersehen, dass in vielen Beziehungen der Sex entweder nach einer Weile anspruchsloser, schlichter, langweiliger wird – oder immer seltener und oft gar ganz entfällt. Also hatte Schiller doch Recht?

 

Der Unterschied zu früher ist, dass wir das nicht mehr als so gottgegeben hinnehmen. Wir sehen nicht ein, dass das Einschlafen des Sex in unseren Beziehungen ein Naturgesetz sein soll, wollen uns ihm nicht beugen.

 

Ganze Heerscharen von Fachautoren, also Psychologen, Paartherapeuten etc. haben Bücher veröffentlicht, die dieses Thema entweder zumindest berühren oder sich ihm ganz widmen. Dazu gehören beispielsweise „Lustvoll leben“ von Pierre Franckh und „Guter Sex trotz Liebe“ von Ulrich Clement. (Besprechungen beider Bücher finden Sie unter dem Button „Rezensionen“)

 

Dass diese Autoren nicht in den luftleeren Raum hinein schreiben, geht unter anderem aus tausenden von Postings in den psychologisch ausgerichteten Foren hervor. „Er/sie hat keine Lust mehr“ ist bei weitem die häufigste Überschrift eines neuen Threads. Übrigens - das mag einzelne überraschen - ist die Zahl von Männern und Frauen bei den Klage führenden in etwa gleich hoch. Mehrheitlich weiblich sind hingegen die Personen, die selber einbringen, sie hätten keine Lust mehr.

 

Diese Letzteren verlangen, dass der Partner Rücksicht auf ihre geringe oder abwesende Lust auf Sex nimmt und hoffen, dass ihnen die Forengemeinde Recht gibt. Genau das wollen die zuerst Genannten auch, nur wollen sie ihr Recht auf Sex und Leidenschaft bestätigt bekommen. Natürlich bekommen beide Gruppen Recht. In den Foren. Aber im Leben, was nützt es ihnen, dieses Recht?

 

Die genannten Autoren sprechen beide vom „erotischen Profil“ einer Person. Das meint, welche Spielarten der Sexualität sie/er in welcher Quantität und Frequenz haben möchte. Es muss nicht extra betont werden, dass eine weitgehende Übereinstimmung dieser Profile eine harmonische Partnerschaft verspricht, zumindest, was diesen Bereich angeht.

 

Das Problem ist, dass diese Frage bei der Partnerwahl verschämt in den Hintergrund gerückt wird. Darum kann es doch nicht in erster Linie gehen. Warum eigentlich nicht?  Ganz typische Sätze in den  genannten Postings sind: „Wir sind das ideale Paar, verstehen uns in allem wunderbar. Nur leider im Sex nicht.“

 

„Na und!“ könnte man argumentieren. Rückt man diesen Aspekt bei der Partnerwahl in den Vordergrund, klappt es in der Beziehung zwar beim Sex, aber man kommt in Stress und Dissenz bei anderen Themen wie Nähe und Distanz, Geld und Lebensstil etc.

 

Hört sich logisch an. Aber die Lebenspraxis ist anders. Während man Differenzen in den zuletzt genannten Fragen per Einzel- oder Paartherapie durch Verhaltensänderung weitgehend entschärfen kann, weil das kompromissfähige Bereiche sind, kann das so im Sex nicht gehen.

 

Natürlich kann man auch hier Kompromisse eingehen, etwa: Der eine Partner möchte es täglich, der andere höchstens einmal die Woche. Man einigt sich auf zweimal die Woche, wie es schon Martin Luther postuliert hat. Alles paletti?

 

Was bei solchem Kuhhandel herauskommt, ist ein Paar, bei dem beide unzufrieden sind, weil keiner auf seine Kosten kommt. Das ist zwar auch eine Art von Fairness, aber keine auf Dauer lebbare. Auch solchen Paaren wird häufig zur Paartherapie geraten. Und was soll dabei herauskommen? Einer wird in seiner Libido gebremst, durch welche therapeutischen Tricks auch immer. Und der andere wird in Fahrt gebracht?

 

 

Eva-Maria und Wolfram Zurhorst haben in ihrem Buch „Liebe dich selbst – und freue dich auf die nächste Krise“ erneut den Beweis geführt, dass so gut wie keine Ehe geschieden werden muss. Denn, alles ist klärbar.  Wenn man genauer hinschaut, erkennt man, dass sie den Punkt Sexualität ganz sauber draußen vor gelassen haben.*

 

Ich möchte strikt davon abraten, bei Problemen in der Sexualität nach dem Motto: „Das wird schon noch“ zu verfahren. Diese Hoffnung sollte man nicht zuletzt sterben lassen, sondern am besten gleich. Das eigene erotische Profil an den Partner anzupassen, ist nur als große Verzichtleistung realisierbar, als Perspektive fürs Leben ist das eher eine traumatische Vorstellung.

 

Eines fällt mir noch auf: als ich das erste Mal geheiratet habe (1964), war es noch undenkbar, dass ein junges Paar sich zur Probe zusammentut und zusammen wohnt – und miteinander schläft. Die erste sexuelle Tat fand entweder in der Hochzeitsnacht statt – oder führte zu dieser. Wer hätte da über erotische Profile nachgedacht!?

 

Heute ist das ganz anders. Da ziehen junge Menschen, kaum der Schule entronnen (oder nicht einmal das), nach zweimonatigem Kennen zusammen, erleben in kürzester Zeit das eingangs erwähnte Fiasko und können sich nicht trennen, obwohl es nicht klappen will. Sie schauen auf einander wie die Maus auf die Schlange, paralysieren und ersticken einander und können nicht weg.

 

Sie haben in Prinzip die Chance des trial and error, sind aber unfähig, sie zu nutzen. Damit will ich nicht einer ex-und-hopp-Mentalität das Wort reden. Aber zwischen diesen beiden Extremen ist ein breites Mittelfeld. Und in diesem Mittelfeld geht es darum, selber Verantwortung für seine Sexualität zu übernehmen. Für sich zu sorgen. Denn man hat ein Recht auf seine Sexualität, auf seine Form der Sexualität. Das klingt nur egoistisch, ist es aber nicht. Denn, ein Mensch, der dies nicht tut, wird kaum je ein souveräner, freundlicher, also ein guter Partner sein. Für sich selber sorgen heißt hier also auch, dafür zu sorgen, dass der andere einen liebesfähigen und Glück bringenden Partner hat.

 

Doch noch einmal zurück zum Ausgangsproblem, der einschlafenden Sexualität selbst in noch relativ jungen Beziehungen. Da gilt es herauszufinden – und genau da hat Paartherapie eine Aufgabe – ob es sich hier um Verhaltensdifferenzen und Gewohnheiten handelt, um Muster gar, die man ohne Verbiegung verlernen oder auflösen kann,  oder aber wirklich um historisch gewachsene, unvereinbare erotische Profile. Kommt letzteres heraus, wird vermutlich eine Trennung das Empfehlenswerteste sein. Nach dem Motto: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. TK  ©  

 

* Das hat E-M Z in ihrem Buch "Soul-Sex" nachgeholt. TK hat das Buch rezensiert.

 

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