Was ist Liebe?

Die einfachste Antwort gab Nayana, die ich auf einem Seminar kennen lernte: Alles ist Liebe. Aus dem Zusammenhang heraus gerissen, in dem sie das sagte, macht es natürlich keinen Sinn, denn Hass ist ja mit Sicherheit keine Liebe.

 

 

Lohnt es sich überhaupt, sich noch einmal den Kopf zu zerbrechen darüber, was Liebe denn nun ist und was nicht? Haben nicht ungezählte Philosophen, Psychologen, Theologen, Weise und Ignoranten Definitionen der Liebe von sich gegeben?

 

Gewiss haben sie das. Und zwar jeder eine andere, die sich nur teilweise überlappen. Aber es gibt ein Problem. Die oft sehr anspruchsvollen Veröffentlichungen, in denen kluge Menschen wie Erich Fromm oder Rollo May die Liebe beschrieben und definiert haben, sind nur einem sehr kleinen Prozentsatz der Menschen zugänglich.

 


  Heute aber kann jede(r) im Internet in einem kostenlosen Blog ihre/seine persönliche Definition der Liebe herumposaunen. Und diese Definition basiert meist auf dem ganz schmalen Streifen der persönlichen, oft negativen Erfahrung, oder auf romantischen Träumereien. Dafür beispielhaft aus einer romantisierenden Internetseite:

 

Liebe ist das Vertrauen zum anderen. Wer einen anderen Menschen liebt, hört auf, nur an sich zu denken, er denkt im Wir. Liebe ist ein sehr warmes und schönes Gefühl, wobei sie manchmal weh tun kann, denn Liebe kann auch verletzen. Liebe zueinander empfinden heißt, füreinander da zu sein, auch in schwierigen Situationen. Liebe ist Hoffnung, Verständnis, Geborgenheit, Zweisamkeit, Sehnsucht, Zärtlichkeit, Vertrauen, Ehrlichkeit, Erotik, Kameradschaft, Harmonie, Treue, Opferbereitschaft, Kompromissbereitschaft. (aus Martinas kleine Liebesseite)

 

Auch wenn man spontan geneigt ist „Na, stimmt doch“ auszurufen, ist ein zweiter Blick angeraten. Nein, Liebe kann nicht verletzten, nur Lieblosigkeit. Liebe ist auch nicht Hoffnung, auch wenn wir hoffen, die Liebe zu erleben oder dass sie uns erhalten bleibt. Und auch, wenn wir unserem Liebespartner vertrauen, ist Vertrauen nicht gleich Liebe.

Obwohl wir heute wissen, dass es verschiedene Ausformungen der Liebe gibt, wird meist die romantische Liebe als die Liebe schlechthin angesehen. Das lernen wir schon in der Schule, wenn im Unterricht Romeo und Julia gelesen wird und im Kino mit all den Liebesschnulzen und –Dramen. Leidenschaft, Eifersucht und Verzweiflung sind die Komponenten, aus denen jeder halbwegs fähige Dichter oder Drehbuchautor ein publikumswirksames Machwerk kreieren kann.

 

Die Psychologin Dorothy Tennov prägte den Begriff der Limerenz , ein Zustand, der gekennzeichnet ist durch „die unablässige gedankliche Beschäftigung mit der geliebten Person; die kleinste Geste und jedes Wort des Partners wird voller Furcht oder Freude aufgenommen.“

In vielen Thread-Eröffnungen in den modernen Liebesforen heißt es, dass man den Partner (über den man anschließend Klage führt) „über alles“ oder oft auch „abgöttisch“ liebe. Dazu schreibt Erich Fromm in seinem berühmten Werk „Die Kunst des Liebens“:

 

Eine Form der Pseudoliebe, die nicht selten als die Große Liebe erlebt wird, ist die abgöttische Liebe. Wenn jemand noch nicht das Niveau erreicht hat, wo er ein Gefühl der Identität, des Ich-Seins hat, das sich auf die produktive Entfaltung seiner eigenen Kräfte gründet, neigt er dazu, die geliebte Person zu vergöttern.

Er wird dann seinen eigenen Kräften entfremdet und projiziert sie auf die geliebte Person, die er als summum bonum als Inbegriff aller Liebe, allen Lichts und aller Seligkeit verehrt. Bei diesem Prozess beraubt er sich völlig des Gefühls von eigener Stärke und verliert sich in der geliebten Person anstatt sich in ihr zu finden.

 

Entsprechend unreif ist dann auch das Verhalten, dass der Poster auch noch triumphierend schildert. Ein anderes Mißverständnis der Liebe ist das Brauchen. "Ich brauche dich so sehr" gilt in der romantischen Literatur als einer der höchsten Liebesschwüre. Und von anderen gebraucht zu werden, gibt das Gefühl, wirklich geliebt zu werden. Dazu schreibt Ron Smothermon in seinem Buch "Drehbuch für die Meisterschaft im Leben": "Sie können unmöglich lieben was Sie brauchen." Das leuchtet ein, wenn man sich das oben Gesagte noch einmal vor Augen führt. Lieben ist nicht haben wollen sondern geben. Wie soll da "brauchen", die massivste Form von "haben wollen", Liebe bedeuten?

 

In ihrem Buch „Eifersucht“ schreibt die Münchner Psychotherapeutin Hildegard Baumgart:

 

Die Utopie des Verschmelzens, des dauernden Aufeinanderbezogenseins, an die oft wider alle Vernunft, dafür aber mit allen Fasern des Herzens geglaubt wird, lässt sich ja nie halten, sondern höchstens für Augenblicke (nicht nur orgastische) erreichen.

 

Unter den unzähligen Zitaten zum Thema Liebe, die sich Laufe der Jahre in meinen Notizbüchern angesammelt haben, gefällt mir immer noch eins von Heinz Körner am besten:

Liebe heißt, den geliebten Menschen zu fördern, befreien, beleben, behüten.

 

Genau das ist es: Ich liebe dich soll nicht heißen Ich will etwas von dir, sondern ich will dir etwas geben. Ich will dir gut tun. In diese Auffassung von Liebe passt es nicht, Forderungen zu stellen, etwas zu verbieten oder Gebote aufzuerlegen, auch nicht – und jetzt ist mir Protest und Aufbegehren sicher – das der Treue. In seinem Standardwerk Die Liebe, das Ende der Achtzigerjahre großes Aufsehen erregt hat und immer noch ein Bestseller ist, schrieb Peter Lauster:

 

Nun kommt der Pferdefuß: ein wirklich liebesfähiger Mensch, für den nur die Liebe zählt, ... ist nicht treu, schon gar nicht ein Leben lang. Ein Mensch, der lieben kann, bleibt der Liebe treu, für ihn ist es wichtiger, zu lieben, als treu zu sein.

 

Natürlich ist es wunderbar, wenn in einer Liebesbeziehung Treue gelebt wird. Aber – hiermit komme ich wieder zum Ausgangspunkt zurück – Liebe ist nicht Treue und Treue ist nicht Liebe. Und auch, wenn wir alle das Gedicht von Erich Fried Es ist was es ist, sagt die Liebe so wunderbar finden, so ist damit genauso viel und genauso wenig gesagt wie Nayanas Alles ist Liebe. Wenn ich die Absicht habe und mich bemühe, meine Partnerin oder meinen Partner dauerhaft glücklich zu machen, dann liebe ich, nicht wenn ich ihr ständig verliebte SMS schreibe. Till Kurbjuweit ©

 

Interessant in diesem Zusammenhang: Ich liebe dich gerade, das Buch von Robert Heeß

 

Weitere Texte:

Liebe und Leidenschaft

Eifersucht und Toleranz

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