Joan Anderson: EinJahr am Meer (dtv) und Eine unfertige Ehe;

An unfinished Marriage(Joan Anderson)

Eigentlich wollte ich Joan Andersons Buch Ein Jahr am Meer  rezensieren, dessen Original (A Year by the Sea) 1999 erschien. Aber das Buch hat solch weite Verbreitung gefunden, dass es kaum noch jemand (zumindest weiblichen Geschlechts) geben wird, der/die es nicht kennt. Zwar sind auf der deutschen Amazon-Seite „nur“ 21 Leser-Rezis zu finden, auf der amerikanischen Seite aber über dreihundert. Die rangieren von überschwänglicher Begeisterung bis hin zur härtesten Niedermachung.

Während die einen Joan Andersons tiefsinnige Innenschau und ihr Wachstum feiern, lästern andere über ihre inszeniert wirkenden       Metaphern und ihr weinerliches Selbstmitleid.

 

 

Es ist in der Tat ein egozentrisches Buch, aber das ist nicht notwendigerweise ein Vorwurf, jede Autobiographie ist das. Mir haben ihre Empfindungen gefallen, die in einer sanft fließenden Sprache (ich habe das englische Original gelesen) rüber kommen.

Am Ende des Buches gibt es eine interessante Wendung: Sie beschließt, die Ehe mit ihrem Mann Robin, dessen Langweiligkeit und – mein Wort – Unbrauchbarkeit sie nicht müde wurde zu betonen, fortzusetzen. Großes Erstaunen meinerseits. Und ein guter Trick, wenn man so will, mich zum Lesen der Fortsetzung An Unfinished Marriage zu locken.

 

Dieses 2002 erschienene Buch hätte in Deutsch Eine unfertige Ehe heißen müssen, ist jedoch erstaunlicherweise nie in Deutschland angekommen. Ich will aber noch einen Moment beim ersten Buch bleiben. Nachdem ich drei Viertel der rund zweihundert Seiten gelesen hatte, kam immer deutlicher eine Frage in mir hoch: Und was ist mit Sex?

War da noch was?

Kann eine Frau auf über hundertsiebzig Seiten neun Monate Selbstreflexion und Selbstfindung beschreiben und kein Wort über Sexualität verlieren? Offensichtlich konnte sie das, und wenn man die zahlreichen Bewertungen und Rezis liest, scheint das niemandem aufgefallen zu sein. Aber das Buch war ja noch nicht zuende.

 

Im zehnten Monat ihrer selbstgewählten Einsamkeit, als ihr Mann und ihre Söhne, die sie inklusive Schwiegertöchter anlässlich Memorial Day besucht hatten, wieder weg waren, fühlt sie sich leer. Bei der Verabschiedung von Robin war ihr eine gewisse Distanz aufgefallen. Sie fragte sich, ob es damit zu tun haben könnte, dass sie nicht miteinander geschlafen hatten. „Nicht, dass ich das unbedingt gewollt hätte, aber es beunruhigte mich, dass es offenbar nicht einmal als Möglichkeit in Frage kam.“

Und dann kommt es:

In letzter Zeit bin ich von sexuellen Gedanken wie besessen.“ Sie zuckt bei Liebesszenen im Kino zusammen und muss wegschauen, wenn Paare sich küssen. „Und doch hat Sex in Wahrheit nie sehr weit oben auf meiner Prioritätenliste gestanden.“ Das klingt ehrlich, noch ehrlicher wäre vermutlich gewesen, sie hätte das „sehr weit oben“ ganz weggelassen. Diese meine Vermutung bestätigt Joan Anderson, als sie einen Absatz weiter retrospektiv schreibt: „Miteinander zu schlafen schien in Ordnung, solange ich mir damit einen Ehemann einfing, und sogar noch besser, als ich Kinder haben wollte. Aber danach wurde es zu einer Aufgabe, zu einer Pflicht.“ Ich kann mir vorstellen, wie viele Frauen sich hier seufzend wiedererkannt haben.

Das war's dann auch schon zum Thema Sexualität im Leben dieser Frau und in ihrer Ehe, und ich spürte eine gewisse Neugier zu erfahren, ob und wie das Thema denn nun im Fortsetzungsband aufscheinen würde.

 

Eine Frau am Meer, ganz allein, ein ganzes Jahr

 

 

Nicht jedem Anfang wohnt ein  Zauber inne

Es schien auf. Gleich nach zwei Dutzend Seiten erfahren wir die Details der Hochzeitsnacht im fernen Afrika. Nach langer Fahrt im Jeep warteten im Motel zwei Einzelbetten auf sie, jedes mit eigenem Moskitonetz. Joan verzog sich schnell ins Bad und hoffte, Robin werde das nüchterne Ensemble schnell zu einer honeymoon suite umbauen. Als sie im dursichtigen weißen Négligée wieder aus dem Bad kam, war alles unverändert, Robin lag in einem der Betten und bedeutete ihr, sich zu ihm zu legen.

Später schrieb sie, sie habe sich in dieser Nacht "unzeremoniell entjungfert" gefühlt. Die Enttäuschung blieb ihr ein Leben lang. Und ein latentes Desinteresse an Sex.

 

Das wars dann auch schon zu diesem Thema, Joan berichtet weiterhin ausführlichst über ihre einsamen Spaziergänge am Meer und ihre Reflexionen über ihre Gefühle und Werte und über die Unterschiede zwischen ihr und Robin, wobei immer ein gewisser klagender, melancholischer Unterton mitschwingt, eine latente Unzufriedenheit mit Robin, mit ihrem Leben, mit der Welt.

 

Das ewige alte Paar-Thema

 Dann plötzlich, Überraschung, kommt doch noch mal die Sprache auf Sex. Joan findet beim Räumen ein altes sexy Nachthemd, dass Robin ihr einst zum Valentinstag geschenkt hat. Die Glückwunschkarte hing noch dran: „Du hast Anrecht auf beliebig viele Küsse, heute und immerdar.“ Als Robin hinzukommt und fragt, was das für ein Teil sei, sagt Joan: „Weißt du nicht mehr? Das war das Jahr der vielen Küsse und dem, wozu das geführt hat.“ Die Anspielung, so verklemmt sie auch vorgebracht wurde, bringt Robin in Probleme. Er wirkt peinlich berührt. „Vielleicht weil Sex nicht auf unserer Prioritätenliste war.“ Eine Umarmung hilft, die peinliche Situation aufzulösen.

Wenn Joan an einer Stelle über ein befreundetes Paar berichtet, das wieder einmal in Therapie ist „wegen der alten Themen. Er bekommt nicht genug Sex und sie möchte, dass er seine Gefühle äußert.“, so ist das ihr gemeinsames Thema nicht. An keiner Stelle scheint durch, dass Robin sich eventuell mehr Sex wünscht als sie.

 

Nach all dem Gesagten, fragt man sich wiederholt, was es eigentlich ist, was die beiden dazu bringt, zusammen bleiben zu wollen, und sie fragen sich das selber auch. Und falls sie es irgendwann doch herausgefunden haben, so habe ich es überlesen. Mit fiel nur gegen Schluss des Buches auf, dass Robin seine Anhänglichkeit – Liebe wäre nicht sein Wort – dadurch ausdrückt, dass er feststellt: „Ich kann mir nicht vorstellen, mit irgendjemand anderem zusammen zu leben.“ Na, das ist doch schon mal was. Und als Joan fragt, ob er manchmal Begehren vermisse, antwortet er: „Wir haben das, meinst du nicht? Man muss das Wort nicht immer im sexuellen Kontext verstehen. Für mich bedeutet Begehren heute, den Rest meines Lebens mit einer guten Freundin und Vertrauten zusammen zu sein.“

Noch Fragen? TK.

 

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Kommentare

Hi Till, gerade gestern las ich auf der Seite von Antje Schrupp eine Rezension des Buches "Was Frauen Sex bedeutet" von Barbara Sichtermann. Darin schreibt sie u.a.:

"Doch das sexuelle Begehren scheint sich, auch wenn es sich bei jeder Frau völlig anders äußert, genau nicht in konventionelle Beziehungsformen leiten zu lassen, selbst bei den Frauen nicht, die dieses Bild nach außen aufrechterhalten. Das Begehren folgt einer anderen Logik, es überwältigt, schmeißt Konventionen um, ist unverfügbar, bringt Dinge durcheinander."

Das hörst sich sehr spannend an. Das Buch werde ich mir unbedingt besorgen, denn das, was Joan Anderson zum Thema weibliche Sexualität vorbringt, ist mir fast peinlich. Da brauche ich ein Gegengewicht.

Beate S., Olching