Mathias Jung: Das sprachlose Paar

Gegen den Strich gebürstetes Paarbuch

Matthias Jung: Das sprachlose Paar; Wege aus der Krise. 189 S. kart. Erschienen bei dtv, ISBN 978-3-423-340053-3, € 9,00 / CHF 16,-

 

„Männer reduzieren sich selbst auf das Rascheln der Zeitung im Wohnzimmer. Ansonsten sind sie von der Bildfläche verschwunden. Die sind einfach weg. Tauchen unter in Kellern oder Bastelräumen, hauen ab in Kneipen oder Baumärkte, nur um nicht mit Frau und Familie kommunizieren zu müssen.“ 

Dieser Satz ist nicht einmal von Autor selber (er zitiert hier den Psychotherapeuten Willi Niewisch), aber er umreißt wie kein anderer die Problematik vieler Beziehungen. Jung selber sagt: „Wir Männer sind gusseiserne Schweiger.“ Ein sexistisches männerfeindliches Buch? Mitnichten, aber eins, das den Finger sehr zielgenau in die Wunden legt. Die beiden Hauptwunden, die heute in Beziehungen schwären, sind das Schwinden der Lust bei fortschreitender Dauer der Beziehung und  die Seiten- oder Außenbeziehung, im Volksmund „Ehebruch“ oder „Fremdgehen“ genannt.

Ich rechne es M. Jung hoch an, dass er sich weigert, die beiden in Anführungszeichen gesetzten Begriffe aus dem kalten Krieg der Geschlechter zu verwenden. 

 

Diese Probleme, von denen kaum ein Paar verschont bleibt, sind natürlich durch wortlosen Fortgang, durch Verlassen, zu „lösen“. Will das Paar die Krise jedoch überstehen, so hilft nur reden, reden, reden.

„Deshalb ist ... nichts anachronistischer und nichts tödlicher als die Sprachlosigkeit eines Paares. Wo gesprochen werden muss im immer neu Aushandeln der Beziehung und des beiderseitigen Glücks, ist Schweigen dumm und lebensgefährlich.“

Sehr pragmatisch geht Jung „von der Normalität der periodischen Lustlosigkeit in länger dauernden Beziehungen“ aus. „Die meisten Paare ... erwarten einen Trick, ein Mittel, um die versteppte Lust wieder zu bewässern. Das heißt, sie suchen eine Lösung des sexuellen Problems innerhalb der Sexualität“. Genau das, sagt Matthias Jung, ist ein Kardinalfehler, der immer wieder gemacht wird. Stattdessen konstatiert er: „Wo Sexualität also nicht klappt, ist nach der Ursache draußen zu fragen, muss die Botschaft der Störung dechiffriert werden. Gestörter Sex fungiert als Warnlampe. Diese zeigt gleichsam einen Defekt im Ich und/oder der Beziehung an.“

 

Ich weiß aus der Mitarbeit in diversen psychologischen Foren, wie schwer gerade diese Botschaft zu vermitteln ist. Mit Händen und Füßen wird sich dagegen gesträubt, auf die anderen Bereiche der Beziehung zu schauen, die man als heil oder gar wunderbar etikettiert. „Aus der Faszination der ersten Begegnung ist eine Angstkoalition geworden: Keine Experimente! Keine Auseinandersetzung! Zusammenleben als quälender Schutz vor dem Alleinsein.“

 

Jung hat den unbestreitbaren Vorteil, griffige Fallbeispiele aus seiner Beratungspraxis bringen zu können. Das von Helga (50) und Klaus (wenig älter, Frührentner) kann gewiss manch andere Beziehungsproblematik enthüllen helfen.

Helga klagte über Klaus’ mangelndes Interesse an Sex. Dieser verkroch sich in sein Arbeitszimmer. „Mein Schwanz streikt“ sagte er drastisch.  Nach einjähriger Einzeltherapie streikte er nicht mehr. Aber Helga.

Jetzt kam heraus, dass sie in ihrer ersten Ehe bis an den Rand der Vergewaltigung genötigt wurde und ihre Scham noch tief saß.

Bei ihrer zweiten Partnerwahl optierte sie für einen „sexuell zurückhaltenden, aggressionsgehemmten Mann. Seine Störung kam ihr gerade recht.  Sie konnte ihr Problem, sich nicht mehr hingeben zu können, an Klaus delegieren.“

 

Da fiel mir eine frühere Geliebte, Elvira, ein, die sich schon als Vierzehnjährige als extrem geil erlebte, gleichzeitig aber fromm war und daher aus Angst vor ihrer überschäumenden sündigen Geilheit einen braven sexgehemmten Mann gewählt hatte, ihn aber schlussendlich verlassen musste, weil er ihr den Mund zuhielt, wenn sie beim Sex in Ekstase geriet.

„Wenn einer des Paares über die Lustlosigkeit des anderen meckert, sind es in der Tiefe beide, nur teilen sie ihre Rollen auf.“ Wenn sie sich verweigert, kann er sich ständig als Eroberer fühlen, der seine gewaltige Potenz nur nicht ausleben darf. Und sie kann sich ständig als Begehrte fühlen, so begehrt, dass sie sich dessen kaum erwehren kann.

Und noch eins teilt Jung den Paaren mit, bei denen die Disharmonie des Begehrens extrem ist: „Wo der ständig abgewiesene Partner das Machtspiel beendet und es nicht länger beim hilflosen Protestieren belässt, sondern die Verantwortung für die eigene Sexualität übernimmt und sie bei einem Dritten findet, ist es meist mit der scheinbaren Lustlosigkeit  des Ehepartners binnen Stunden vorbei.“ Auch das kann ich aus eigenem Erleben bestätigen.

 

Noch mehr gegen den Strom des Mainstreams schwimmt M. Jung beim Thema Außenbeziehung. „Wenn ein Paar zur Beratung kommt, wünscht der Betrogene, dass der Therapeut dem anderen moralisch die Leviten liest. Er soll den alten Zustand wieder herstellen, ohne dass Wesentliches in der Beziehung geändert wird.“ Jung greift dann zu einem extremen Mittel, zur so genannten „paradoxen Intervention“ und sagt, der nach außen gegangene Partner habe eigentlich das Bundesverdienstkreuz verdient. Und auf das fassungslose Warum? konstatiert er gnadenlos: „Weil damit endlich euer alter Saftladen in Frage gestellt wird.“ Wumm! Und bravo!

 

Eine Außenbeziehung macht alles kaputt, argumentieren die Kleingeister, die Ängstlichen, die Süchtigen. Dazu sagt Jung: „Meist zerstört die Außenbeziehung nur, was ohnehin zerstört ist.“  Und weiter: „Die Außenbeziehung ist kein Zufall. Sie ist die Wahrheit eines Paares, sein verborgenes Defizit. Sie geht beide an. Wenn die Zweierbeziehung zur Dreierbeziehung geworden ist, steht die große Beziehungs- und Lebensinventur an.“ Genau das ist übrigens seinerzeit, als ich in der Situation war, nicht geleistet worden – und das lag auch an mir – und daher musste die Ehe definitiv scheitern.

„Das Kostbarste an einer Krise durch Seitenbeziehung“ scheint Jung „die Fülle der Fragen zu sein, die sie aufwirft.“

Die Hauptfrage „Was ist der Mangel unserer Beziehung?“ ist nur die erste von siebzehn, die er prägnant und ein aha-Erlebnis nach dem anderen erzeugend, auflistet.

Trotz aller guten Ratschläge und Lösungsmodelle wird es immer wieder so sein, dass ein „betrogener“ Mensch – auch dieses Wort ist zu hinterfragen; „der passiv in die Dreieckssituation geratene Partner“ ist wohl richtiger – dass dieser randaliert, wütet, straft und verurteilt. Und damit genau das Gegenteil von dem erreicht, was er erreichen möchte. Daher rät Matthias Jung zum Abschied: „Behaltet die Nerven! Klärt die verworrene Situation! Verzeiht euch! Außenbeziehungen gibt es nun mal.“

Im Laufe der Lektüre sind mir ein paar kleine Äußerlichkeiten aufgefallen, die ich unpassend oder störend fand. Aber nachdem ich das gesamte Werk als so wertvoll, kraftvoll und überzeugend erlebt habe, fände ich es kleinlich, sie hier zu benennen. Mag der eine oder andere Leser sie selber aufstöbern, und wenn nicht, tant mieux.  TK. ©

 

Mut zum Ich