Mina Urban: Ehe ohne Sex

Irrtümer - Erfahrungen - Auswege  •  ISBN 978-3-96014-040-5 • € 12,90; kindle-edition € 9,99

Ob es nicht spanndender sei, über Sex ohne Ehe zu schreiben, wurde Mina Urban während der Arbeit an diesem Buch gefragt. Gut, dass sie sich nicht hat rumkriegen lassen, denn über das umgekehrte Thema gibt es bereits unendlich viel Literatur, über ihrs noch kaum etwas. Jedenfalls nicht in Buchform.

 

Bücher wie "Guter Sex trotz Liebe" von Ulrich Clement sehen ihre Aufgabe in erster Linie darin, Paaren den Weg zu zeigen, wieder mehr Freude durch Sexualität in ihre Beziehung zu bringen. Dagegen hat Mina Urban nichts, rückt aber einen anderen Aspekt in den Vordergrund, nämlich, ob man nicht auch mit einer Ehe ohne oder mit sehr wenig Sex gut und glücklich leben kann, ohne ständig daran herumzuschrauben. Ihre prinzipielle Antwort ist ja, aber damit greife ich dem Lauf des Buches vor.

Bevor die Autorin zu ihrem eigentlichen Thema kommt, macht sie einen Schnelldurchgang durch die gesammelten Erkenntnisse über Beziehungen und Sexualität in der neueren Sach- und Fachliteratur und der öffentlichen Debatte. Das unterschiedliche Kommunikationsverhalten von Frau und Mann inklusive dem Einfluss der Chakren darauf, dann die Beantwortung der Frage "Was ist Sexualität?" Wie Orgasmus funktioniert, wann und wie nicht und wann es gut ist, ihn vorzuspielen. Sex und Verantwortung, Sex und Macht, Sex und Fantasie. Und schließlich die Frage, was Ehe, Liebe und Sex miteinander zu tun haben. Das alles - wenn man die zwischengeschachtelten sehr lesenswerten Beiträge von IntereviewpartnerInnen abzieht - auf achtzundzwanzig Seiten. Es liest sich gut und flüssig, aber wenn man am Ende angekommen ist, ist man doch etwas außer Atem und vielleicht ein wenig schwindelig wie nach einer aufregenden Achterbahnfahrt. Ein wenig mag auch der enge Satz ohne Leerzeilen bei Zwischenüberschriften dazu beitragen.

 

Ab Seite 94 geht es denn wirklich los mit der Kapitelüberschrift "Ehe ohne Sex". Jetzt wird es spannend. Mina Urban nennt vier Hauptgründe: Sich wissentlich gegen Sex entscheiden, kein Bedürfnis danach haben, nicht können und schließlich nicht wollen. Sehr interessant zu lesen. Die dann kommende Frage, ob eine Ehe ohne Sex funktionieren kann, ist nur eine rhetorische, das wissen wir schon, und sehr pragmatisch geht Mina Urban gleich weiter zu den beiden Fragen, warum eine Ehe ohne Sex funktionieren kann und, noch wichtiger,  warum man dann doch darunter leidet, wenn man in einer solchen Ehe lebt.

 

Mit den auf dieses Kapitel folgenden "Anregungen" hat mich Mina Urban nun doch überrascht. Plötzlich rät sie uns, aus dem Akt ein Fest der Liebe zu machen und uns mit sexuellen Techniken zu beschäftigen, zum Beispiel Tantra, wo Sex zwar ihrer Meinung nach nur eine Nebenrolle hat - aber dazu         Klappentext. Zum Vergrößern angeklicken.

eben doch stattfinden muss. Nachdem sie das Kamasutra kurz gestreift hat          

(wirklich sehr kurz), kommt sie - da bin ich perplex - zu Kunyaza, einer aus Afrika stammenden Liebeskunst, die ich, der ich mich stets als mit allen Wassern gewaschen wähnte, erst vor rund einem Jahr kennen lernte. Theoretisch!  Wer es genauer wissen will, lese bei Mina Urban nach.

Über den G-Punkt kommt die Verfasserin dann zur Traditionellen Chinesischen Medizin, der Bedeutung des Essens und schließlich zum Tao - ohne jedoch das Wort zu verwenden, und meiner Auffassung nach auch nicht ganz korrekt rüber gebracht.

 

Nach diesen Exkursen kehrt sie zum Thema Ehe ohne Sex zurück und beschreibt vier Phasen, durch deren Durchlaufen dies gelingen kann. Mina Urban benennt vieles in ihrem Buch, hält sich aber mit Ratschlägen sehr zurück. Nur einen möchte sie als den wichtigsten angesehen wissen: Nicht an der Beziehung und erst recht nicht am Partner arbeiten, sondern an sich selber. Und der Partner ist stets der wichtigste Spiegel für unsere Entwicklung, den wir nie ignorieren sollten.

 

Fazit: Wiewohl es einige wenige Stellen gibt, wo ich mit der Verfasserin nicht einig gehe, halte ich dies für ein sehr wichtiges Buch, und zwar keineswegs nur für Menschen, die in einer Ehe oder Beziehung ohne Sex leben. Gewisse Teile des Buches sind so kompakt in der Stoffülle, dass sie sich entweder als kurzen Überblick zur Einführung in das Beziehungsthema eignen, wenn man da noch recht unbelesen ist, oder aber, andersherum, als schnelles Repititorium für die alten Hasen, wenn man dieses oder jenes nochmal nach vorne holen will TK. 4.9.2016