Robert Heess: Ich liebe dich gerade - Erwachsen werden in Liebesdingen

220 S. Kart., Verlag tao.de/Kamphausen, ISBN 978-3-95529-236-2, € 16,99   •  2 Kommentare

Love me tender, love me true, all my dreams fulfill,

for my darling I love you and I always will

 

Wenn man nicht genau wüsste, dass Elvis Presley dies schon vor sechzig Jahren auf dem Gipfel seiner Sturm und Schmalz-Zeit gesungen hat, müsste man nach der Lektüre dieses Buches annehmen, dass Robert Heeß den Satz als Persiflage auf das Konzept der romantischen Verliebtheit erfunden hat. Denn besser kann man es kaum illustrieren – und gleichzeitig den zugrunde liegenden Wahnsinn aufzeigen.

 

Diesem Konzept der romantischen Verliebtheit stellt Heeß das der „erwachsenen romantischen Liebe“ gegenüber. Das hat mich zunächst irritiert, weil nach meinem bisherigen Verständnis Romantik in überhaupt kein „ordentliches“ Liebeskonzept gehörte. Diese Auffassung hat Robert Heeß zunächst ins Wanken und am Ende mit seiner Übersetzung romantisch lieben = intensiv fühlen und lieben, auch zur Auflösung gebracht.

 

Das romantische Liebeskonzept, das gesellschaftlich fest verankert ist und in zahllosen Liebesliedern und Filmen immer wieder beschworen und gefeiert wird, lobpreist den Partner als Traumerfüller, als Sinngeber, als Löser aller unserer Probleme - wie einst Mutter und Vater. Robert Heeß sagt das so: „Die Norm/das Ideal der Partnerbeziehung ist der Lebenskontext eines kleinen Kindes mit seiner strukturellen Unselbstständigkeit und Unfähigkeit, alleine zu überleben“, häufig ausformuliert in dem Satz „Ich brauche dich“, der als ultimativer Liebesschwur gilt.

 Liebesbeziehungen unter Erwachsenen sollten anders aussehen, sollten „ein Spiel in Leichtigkeit und absichtslosem Geben und Nehmen in Freiheit“ sein. Das hat zur Folge, und hier rechnet Heeß durchaus mit heftigem Gegenwind, dass sie „keinen Anspruch auf Verbindlichkeit im Sinne von Dauer und Beständigkeit haben“ können.

Diese Freiheit haben erwachsene Liebende, weil sie sich selbst als vollständig erleben, keine „Ergänzung“ brauchen und selber dafür sorgen, dass ihr Leben gelingt, und weil sie sich selbst lieben und wissen, dass sie auch bei einem eventuellen Ende einer Liebesbeziehung nicht untergehen.

 

Romantische Liebe will Ausschließlichkeit; der erwachsene Liebende braucht sie nicht, weil er ja grundsätzlich nichts vom Partner braucht. Das macht auch Mehrfachlieben und -Beziehungen möglich. Dass diese anstrengend und eine emotionale Achterbahnfahrt werden können, wird von den Romantikern gerne abwehrend ins Feld geführt, aber wer kennt schon traditionelle, auf Brauchen, Ausschließlichkeit und Ewigkeit bauende Beziehungen, die voller Faszination und Ekstase, aber nicht anstrengend und keine emotionale Achterbahnfahrt sind?

 

In Liebesdingen erwachsen sein heißt:

Verantwortung für das eigene Leben und Glück übernehmen

Selbsterfahrung und Selbstreflexion

Augenhöhe mit den Eltern, keine offenen Rechnungen

Gut und kreativ allein sein können

Angstfreier Umgang mit Eifersucht (der eigenen und der des anderen)

Bewusstsein, auf keine bestimmte Person angewiesen zu sein

Standfestigkeit bei emotionalen Achterbahnfahrten

Weiterbildung zum Thema Liebe

 

Durch den teilweise etwas elaborierten Code ist das Buch als Einsteigerlektüre vermutlich anspruchsvoll, andererseits bietet es im Anhang gerade dem Neuling im Liebesthema wertvolle Tipps und Hinweise auf Bücher, Internetseiten, Seminare, Liebes – und Beziehungsworkshops, wie man sie so vollständig sonst kaum findet.

Wie auch immer, wer endlich erwachsen lieben will, bekommt hier das vollständige Werkzeug. TK.


Kommentare

Andreas W.:

Na das passt ja. Gerade zeigt mir die Werbung am Rande meiner gmx-Startseite das Cover eines kleinen Büchleins mit dem hübschen Titel „Ich geb' Dich nie mehr her!“ und einem erklärenden Untertitel in Klammern: „Ich lieb' Dich nämlich viel zu sehr!“ Auch wenn ich das Buch von Robert Heeß noch nicht gelesen habe, kann ich mir schon aufgrund der Rezi vorstellen, wie er dazu stehen würde. Hergeben (oder eben nicht) kann man ja nur, was man besitzt. Das würde also in diesem Fall Leibeigenschaft bedeuten. Und als Begründung kommt dann das viel zu sehr Lieben. Echt krass. Also ich muss mir das „Ich liebe dich grade“ gleich mal bestellen.

 21.7.16


Robert Heeß:

Es ehrt mich, dass du dich so intensiv mit meinen im Buch ausgeführten
Gedanken beschäftigt hast, TK. Und es freut mich. Umso mehr liegt mir ein
Hinweis am Herzen:
In deiner Rezension klingt es, als ob erwachsen zu lieben oder lieben zu
lernen bedeute: Verantwortung übernehmen, Selbstreflexion, Augenhöhe mit
den Eltern etc., du hast ja acht Punkte genannt (von 19). Als ob diese
Phänomene bereits ERFÜLLT und INTEGRIERT sein müssten, um erwachsen zu
lieben.
Nein, sie müssen noch nicht erfüllt sein! Es geht darum, an einem oder
zwei dieser Themen zu arbeiten, sich damit auseinanderzusetzen, also dran
zu sein und zu bleiben an Themen wie diesen, das ist es, was ich als
Voraussetzung erachte, um in Liebesdingen erwachsen zu sein oder zu
werden.

Es ist ein etwas anderer Blickwinkel.

Und der ist mir sehr wichtig - es geht schließlich nicht schon wieder um
Leistung und perfekt sein müssen und überhaupt.
Nein: Wissen, dass man seine Liebesfähigkeit trainieren kann, ist wichtig.
Und dann das Dranbleiben.
25.7.16


TK.:

Lieber Robert, aus einem bestimmten Grund lese ich gerade nochmal die Kommentare zu meiner Rezi, da bleibe ich bei deinem hängen an der Formulierung "Wissen, dass man seine Liebesfähigkeit trainieren kann, ist wichtig." Und da fällt mir spontan ein, dass ich etwas in der Richtung in meinem Roman "Ansichtskarten aus der Kälte" geschrieben hatte. Musste blättern und suchen und wurde auf Seite 161 fündig:

Beim Seminarabschlussfest im "Big Sur", dem Festraum der Gemeinschaft  EXXIL, hatte Gerald den Prota Jonathan gefragt, welches seine Ziele seien und der hatte darauf recht hilflos reagiert und schließlich die Gegenfrage gestellt: "Welche Ziele hast du denn?"

Dieser Gerald zählte dann mehrere Dinge auf und erwähnte am Schluss, "er wolle liebesfähiger werden. Nein, es gehe ihm nicht um die Verbesserung einer konkreten Beziehung, denn er lebe gerade in keiner, es ginge ihm um eine generell größere Liebesfähigkeit. Und damit meine er überhaupt nicht Sex, sondern die Hingabe an andere Menschen, den Willen, ihnen gut zu tun, ihr Wachstum zu fördern."

Passt scho, oder?  14.9.16


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